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Buchpräsentation im Tagungshaus Wörgl: "Hurra - wir dürfen zahlen! Der Selbstbetrug der Mittelschicht" am 27. September 2011

 

Autogramm-Stunde mit Buchautorin Ulrike Hermann nach dem aufschlussreichen Vortrag im Tagungshaus Wörgl.

Mit klassischen Vorurteilen räumte die Buchautorin und Publizistin Ulrike Hermann am 27. September 2011 bei der Vorstellung und Diskussion ihres Buches "Hurra - wir dürfen zahlen!" auf, das den "Selbstbetrug der Mittelschicht" thematisiert und nach Lösungsvorschlägen der Krise sucht. Laut Herrmanns Thesen ist die Mittelschicht Opfer und Täter zugleich. Der Mittelstand fühle sich der Oberschicht näher  als den Armen, die sie für soziale Abstiege verantwortlich mache, und stimme deshalb Reformen zu, die ihr eigentlich selbst schaden. Während die Reichen sich systematisch arm rechnen, nehme der Mittelstand die entstehenden Ungerechtigkeiten nicht mehr wahr. So entstehe eine bizarre Schieflage, in der „0,5 % der Bevölkerung bereits ein Drittel des Geldvermögens und 10 % der Bevölkerung zwei Drittel des Volksvermögens besitzen.“  

Entgegen der weit verbreiteten und propagierten Meinung "Aufstieg durch Bildung" sei viel mehr Realität, dass die Reallöhne stagnieren. "Bildung lohnt sich nicht - doch das auf die Globalisierung zu schieben ist ein klassischer Fehlschluss, wir haben ein internes Verteilungsproblem", diagnostizierte Hermann beim Vortrag vor rund 30 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern. "Die Herkunft ist heute mindestens genauso wichtig wie Bildung - die Elite rekrutiert sich aus sich selbst", erklärte die Autorin.

Ein weiteres Phänomen sei, dass sich die "Reichen arm rechnen. Sie stellen sich als Opfer dar." Während eine Transparenzdatenbank für Arme von der Politik gefordert wird - "die wir nicht brauchen", so Hermann - stehe diese für Reiche nicht zur Diskussion. Das Geld verschwinde in Stiftungen, der Reichtum sei anonym. Nach Angaben des Raiffeisenverbandes würden in Österreichs Stiftungen 80 Milliarden Euro verwaltet. Der Mittelstand gehe eine fatale Allianz mit der Oberschicht ein und unterstütze Steuervorteile für die Reichen. "Der Staat wird systematisch diffamiert und es wird so dargestellt, als werde er von der Unterschicht ausgeplündert."

Rettungspakete retten die Reichen...

In der aktuellen Finanzkrise sei nun das Vermögen der Reichen gerettet worden. Die Rettungspakete seien ein doppeltes Geschäft für die Besitzenden: „Sie kassieren Zinsen für die Kredite, die sie den verschuldeten Staaten geben, und lassen sich diese Sicherung vom Staat noch bezahlen.“ Die verordneten Sparpakete können aber nicht zum Erfolg führen, wie der Fall Griechenland zeige. Ulrike Hermann verwies auf Parallelen zur Weltwirtschaftskrise 1929 und wie damals die USA mit dem New Deal unter Roosevelt darauf reagiert hatten: "Der Spitzensteuersatz betrug 79 %, die Erbschaftssteuer 77 %. Mit dem Erfolg, dass die Steuererlöse den Massenkonsum ankurbelten und für einen enormen Aufschwung sorgten, der dann auch den Reichen zu Gute kam. Diese Vorgangsweise war Konsens bis zum Auftreten des Neoliberalismus in den 1980er Jahren."

Mit der Abstufung der USA durch Rating-Agenturen angesichts des immensen Staatsschuldenberges Anfang August 2011 sieht sie eine neue Phase im Kapitalismus anbrechen: "Was da abläuft, ist bizarr. Vor der Abstufung erhielt man für 10 Jahre laufende US-Staatsanleihen 2,5 % Zinsen. Aber anstatt eines Zinsanstieges ging das Zinsniveau auf 2,3 % zurück. Bei einer aktuellen Inflation von 3,6 % in den USA  bringen diese Anleihen einen jährlichen realen Verlust von 1,3 % und vernichten damit bereits Kapital." Doch statt eines Hochfahrens der Aktienmärkte reagieren diese auf den Sparkurs der öffentlichen Hand, der einen Nachfrage-Ausfall bedeutet, ebenfalls mit sinkender Tendenz. Und in dieser Situation erkennen Vermögende, dass ihre Renditen nicht mehr erwirtschaftet werden können. "Vielleicht rettet jetzt die Oberschicht die Mittelschicht, denn Vermögensvernichtung am Kapitalmarkt ist unkontrollierbar!" zieht Ulrike Hermann den Schluss und bezieht sich bei dieser optimistischen Einschätzung auf Warren Buffets mediales Plädoyer für mehr Reichen-Steuern: "Buffet rechnete sich aus, dass er nur 17 % Steuern bezahlt während seine Angestellten für ihr Einkommen 34 % Steuern zahlen."

Dass jetzt „kluge Milliardäre wie Warren Buffet freiwillig mehr Steuern zahlen wollen“ bezeichnete Hermann in der gemeinsam von der Grünen Bildungswerkstatt, den Wörgler Grünen, den Grünen in der AK und dem Tagungshaus Wörgl durchgeführten Veranstaltung als hoffnungsvollen Lösungsansatz der Krise.

In der anschließenden Diskussion bezog Ulrike Hermann Stellung zu Sarazins Bestseller - dieser sei eine Rechtfertigung für die Privilegien von Eliten. Entgegen der unterschwelligen Behauptung, Eliten seien aufgrund ihrer Intelligenz die Oberschicht, erfolge die soziale Selektion nicht nach Intelligenz, sondern nach Herkunft.

Angesprochen auf das Thema private Kapital-Pensionsvorsorge wies Ulrike Hermann auf einen fatalen blinden Fleck in der öffentlichen Meinung hin: "Sparen ist sehr gefährlich - das geht nur gut, solange das Geld in Form von Krediten abgeholt wird. Wenn die Unternehmen nicht mehr investieren und die Nachfrage fehlt, kann das nicht mehr funktionieren."

Ulrike Hermann führte abschließend ein weiteres Argument für mehr Besteuerung der Reichen und des Vermögens ins Rennen: "Je gleichgestellter die Mitglieder einer Gesellschaft sind, umso mehr tut man für den Umweltschutz." Ihre Prognose: Der seit 1870 herrschende Kapitalismus gehe vorbei, in einer endlichen Welt gibt es kein unendliches Wachstum. Dazu gäbe es keine Alternative.